Jörn Vanhöfen

Jörn Vanhöfen
Spanien 2003: Ein Passagierschiff auf dem Meer mit
Sonnenuntergang. Die Szene gleicht einer Postkarte - Erinnerung an eine Seereise. Doch dieses Klischee fällt schnell in sich zusammen, denn zu nah an der Küste entpuppt sich das stolze Schiff als Wrack auf dem Strand liegend. Der hintere Teil des Schiffes ist abgerissen. Sichtbare Spuren von Rost lassen vermuten, daß die Katastrophe sich vor längerer Zeit ereignet hat. Meer, Sonnenuntergang und Wrack als neuer Postkartentypus für Katastrophentourismus?

Berlin 2002: Hinter der Ruine des ehemaligen Palasthotels ist ein Teil des Berliner Doms sichtbar. Jörn Vanhöfen fotografiert diese Konstellation von einem gegenüber liegenden Gebäude aus, das selbst Teil des Bildes ist. Ein paar Schritte vor und nach links hätten genügt, um freie Sicht auf das historische Bauwerk zu haben. Doch das Bild legt diesen Blick fest und unterbricht damit die Erwartungen im Fluß unserer Wahrnehmung. Das Bild realisiert eine spezifische Organisation von Wirklichkeit. Die unterschiedlichen Bauwerke wirken wie ein Block. Die Bruchstücke der Ruine ähneln den kleinen architektonischen Elementen auf der Fassade des Doms. Die Differenz verschwindet durch ein Muster, das sich über beide Gebäude legt.

Berlin 2004: Wie ein Close up wirkt das Foto vom Schuttberg innerhalb eines ruinösen Gebäudekomplexes. Bei leichtem Schneefall fotografiert, werden die Schneekristalle über den Raum verteilt, fixiert. Schneefall und Zerstörung haben einiges gemeinsam. Sowohl Schutt als auch Schnee nehmen wir einerseits als Partikel und andererseits als Haufen oder als weiße Fläche wahr. Das Fallen der Partikel erleben wir als Prozeß in der Zeit, das Ergebnis als „zeitlose" Form. Das Bild wird zur Metapher, indem es die chaotisch erscheinenden Positionen kleinster Partikel als Muster organisiert und sie auf diese Weise von ihrer Bedeutung befreit, um sie als Struktur auf eine zu entwerfende Wirklichkeit zu projizieren.

Das Risiko: Die Metapher konstruiert einen Zusammenhang, der nur als Bild existiert. Und daher nur als mögliche Organisation von Wirklichkeit gehandelt wird und nicht als Abbild fungiert. Der Übergang von einem Prozeß - Schneefall oder Zerstörung - in einen Zustand wie Schneedecke oder Schutthaufen beschreibt einen Wandel der Organisation. Und selbst Zerstörung erzeugt Ordnung. Vanhöfen sucht solche Transformationen über potentielle Mehrdeutigkeit unterschiedlicher ästhetischer Mustern erfahrbar zu machen. Mehrdeutigkeit impliziert Bedeutungslosigkeit, bedeutet doch der Übergang von einer Bedeutung zu einer anderen, eine Phase ohne Bedeutung zu durchlaufen, um eine andere zu etablieren.

Jörn Vanhöfen bezieht seine Bilder auf Übergänge: Vom Prozeß in einen Zustand oder von einer Situation in eine andere und er wählt seine Ausschnitte so, daß wir die Bilder als eine Veränderung eines Kontextes erfahren, was immer auch eine Änderung der Bedeutung nach sich zieht. Häufig verbinden wir solch einen Übergang mit einer Katastrophe oder Irritation. Brände, Unwetter, Kriege oder „wie die ungewöhnliche Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf dem Seziertisch" (Lautréamont) oder die Anwesenheit eines Bronzehirsches in einer Hotelanlage oder eines streunenden Hundes am Strand (Ligurien 1988). Vanhöfen macht dann seine Bilder, wenn aus Konstellationen der Wirklichkeit im Bild Mehrdeutigkeit entsteht. Dabei geraten wir in Konflikt mit unserer Erfahrung von Wirklichkeit, die auf Eindeutigkeit zielt. Doch Mehrdeutigkeit braucht diese Differenz.

Manfred Schmalriede
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