Judit Villiger

Sanitäre Reflexionen
Obwohl wir sie aus eigener Anschauung bestens kennen, muten sie seltsam an, so ungewohnt wie sie uns von Judit Villiger auf dem Papier präsentiert werden: Um 90 oder 180 Grad gedreht entpuppen sich banale Badezimmerarmaturen als bisweilen barocke, bisweilen futuristisch anmutende Gebilde, deren formale Qualitäten überraschen. Doch dies ist nicht das einzig Verblüffende in Judit Villigers Gouachen. Wenn wir uns die spiegelnden Flächen der Chromarmaturen genauer betrachten, sehen wir darin kleine Porträts, die durch die zahlreichen Krümmungen und Biegungen des Metalls verzerrt und verzogen erscheinen. Tatsächlich hat sich die Künstlerin in den Armaturen selbst porträtiert, zeigt sich mit dem Pinsel in der Hand, wie sie gerade die geschwungenen Metallstangen und -bänder sorgfältig abzeichnet.
Das Selbstporträt im Spiegel ist ein klassisches Thema der Malerei. Judit Villiger, die in ihrer Arbeit schon seit einiger Zeit die Kunstgeschichte lustvoll durchforscht und befrachtete Motive durch einen frischen, ziemlich frechen Blickwinkel unserer Wahrnehmung neu zugänglich macht, hat sich hier eines besonderen Kunstgriffs bedient, indem sie ein klassisches Sujet in eine alltägliche Umgebung transferiert, aber gleichzeitig mit fast altmeisterlicher Präzision behandelt. Das Gewöhnliche verklärt sich dabei ein wenig, wenn wir in den Alltagsgegenständen sorgsam gemalte Porträts entdecken – aber nicht wie bei Duchamps Pissoir "Fountain", das, der Vergleich sei erlaubt, ja auch auf dem Kopf stand, in ästhetischer Indifferenz, sondern in Aufmerksamkeit gegenüber den formalen Spielereien der Gebrauchsobjekte.
Inspiriert zu der Zeichnungsserie "Sanitäre Reflexionen" wurde Judit Villiger durch ihre Beschäftigung mit der Tradition der Darstellungen der "Susanna im Bad" und dem "Selbstporträt im konvexen Spiegel" von Parmigianino, dem sie auf ihren Streifzügen durch die Kunstmuseen der Welt in Wien begegnet ist. Wichtiger als die Kenntnis ihrer direkten Quellen ist aber die Gewissheit über die Methode ihres Vorgehens: Sie entleiht die Ikonen der Kunstwelt ihrem angestammten Milieu und überdenkt sie neu, um sie uns nochmals vorzulegen – und sei es in Form von Badezimmerarmaturen.

Gabrielle Boller
Seedamm Kulturzentrum Pfäffikon SZ, Februar 2006
Galerie Römerapotheke, Rämistrasse 18, CH - 8001 Zürich | gallery@roemerapotheke.ch | Impressum | top