Volker März

Neue Zürcher Zeitung 2005

26. August 2005, Neue Zürcher Zeitung, Kultur Überregional

Zum Siegen selektioniert
Volker März' Mannschaft eröffnet die Fussball-WM 2006


Zum Siegen selektioniert
Volker März' Mannschaft eröffnet die Fussball-WM 2006
Vor einem Jahr punktete er am Theaterspektakel mit Tonfiguren; nun sind der Künstler Volker März und seine Mannschaft mit einer Guerilla-Performance zur Fussball-WM 2006 auf Zürcher Stadt- und (Landi-)Wiesengrund unterwegs. Die Intervention ist Teil der kommenden Ausstellung «Rundlederwelten» in Berlin. ...
Zürich erlebt die Invasion der Radiergummis. Sie singen kleine Lieder, können rhythmisch skandieren, sauber marschieren, blickdicht verbarrikadieren. Eingänge, Durchgänge und überhaupt: Blaurot spielt ein Spiel nach seinen Regeln. Doch vor der neuen Börse dauerte es am Mittwoch nur sieben Minuten, bis Sicherheitsbeauftragte den Gummis die rote Karte zeigen: Platzverweis! März und seine Internationalmannschaft Unos United (Tänzer, Performer, Schauspieler, eine Sängerin) hatten zwar eine Aufenthaltsbewilligung der Stadt in petto; doch zufälligerweise gehört eben dieses Stück Asphalt dem Kanton . . .
Unos United, die Vereinigung der Vereinzelten, ist Volker März' neustes Irritationsspiel ohne Grenzen, doppelsinnig und doppelbödig. Es ist einerseits der Beitrag eines agent provocateur zur Fussball-WM 2006 und steht auf der Liste der offiziellen Beiträge des Kunstprogramms der Bundesregierung zur Weltmeisterschaft; anderseits fungiert es als Teil der Ausstellung «Rundlederwelten», die von Dorothea Strauss nach der Idee des verstorbenen Harald Szeemann im Oktober im Martin-Gropius-Bau in Berlin eröffnet wird. März und der Fussball? Er würde nicht so weit gehen wie Dieter Hildebrandt, der überzeugt ist: «Fussballfanatismus ist eine europäische und sogar weltumspannende Geisteskrankheit.» Doch dass der Fussball den Nationalismus fördert, daran hält auch März fest. Mit Unos United in der Montur antiker Seher (Lederrock, Sakko mit Tartanmuster) will er «die Schattenseiten des Fussballs ausleuchten» und den Subtext an die Oberfläche holen. Denn wäre die ledrige Unterhaltung ohne Strategien wie Opportunismus oder Kampfgeist überhaupt denkbar, ohne eine «Selektion», eine Sprache der Täter?
Womit wir bei den allegorischen Radiergummis sind, angetreten unter Mannschaftskapitän März, «das Vergessen auszuradieren». Es sind vielleicht die grösste Leistung und der erste Erfolg seines Kontrapunktes zur WM 2006 (Dauer bis einen Tag nach dem Endspiel), dass er sich an belasteten Orten der Geschichte Raum nehmen wird, um diese für einen Augenblick zu verfremden und Regeln zu brechen. Auf Einladung des Goethe- Institutes wird Unos United im Mai 2006 nach Griechenland reisen und sich dort mit den Massakern der Deutschen Wehrmacht von 1943/44 an der griechischen Bevölkerung auseinandersetzen. Doch vorher noch eine kleine Sensation: Anlässlich des 70. Jahrestages der Nürnberger Rassengesetze diesen September wird Unos United auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände spielen können - erstmals überhaupt im Kolosseum. Hitler liess den Koloss aus Granit 1935 als Kongresshalle für 50 000 Menschen bauen, eine Bühne für Monumentalinszenierungen.
Natürlich sollte sich auch das Fifa-Pantheon Zürich mit März' subversiven Spielen konfrontieren müssen. Dass Unos United als Teil des ambulanten Programms abends auf der Landiwiese wirksam sein wird, war vorauszusehen. Doch in der restlichen Zeit haben sich die Kunstfussballer «Kuchen für Spiele» als Motto ihres Gastspieles vorgenommen: Wer will, kann sie nach Hause einladen. Man darf damit rechnen, dass sie auch auf einem Küchenbalkon mit Lust bei der Sache sind, Bewegungslieder zum Besten geben und sich im Übrigen an die Gepflogenheiten des zivilisierten Umgangs mit dem befreundeten Volk halten. Zumal dieses fussballerisch keine Schatten wirft.
Daniele Muscionico
Zürich, Landiwiese, bis 27. August, jeweils um 18 Uhr 30; Freitag ab 14 Uhr an der Brücke der Gessnerallee; Samstag um 12 Uhr am Paradeplatz. Zu buchen unter 0049 179 5992728.

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